Insolvenz und Neuanfang eines Familienunternehmers – Wie gelingt im Ernstfall eine weiche Landung ?

Die Erfolgsgeschichte der besonderen Art von Holger Raithel, dem ehemaligen Geschäftsführenden Gesellschafter der KAHLA/Thüringen Porzellan GmbH

2005 beginnt in Thüringen eine Erfolgsgeschichte. Holger Raithel übernimmt in 2. Generation das Familienunternehmen seines Vaters. 15 Jahre später mündet der Weg in die Insolvenz in Eigenverwaltung. Das einstige, hochinnovative und vielbeachtete Traditionsunternehmen hat heute einen neuen Eigentümer. Was ist der Unternehmerfamilie geblieben? Viele, teils schmerzhafte Erfahrungen, durchlebte Sanierungspraxis im Spannungsfeld zwischen Banken, Mitarbeitern und Lieferanten. Aber vor allem auch der Mut für einen Neuanfang. Mit dem geschulten Blick für Risikodetails berät der diplomierte Physiker Holger Raithel künftig unter dem Dach der AMBG andere Unternehmerfamilien, Risiken und Krisen rechtzeitig zu erkennen, zu managen oder im schlimmsten Fall, eine komplette Bruchlandung zu vermeiden.

 

Ein Experte ist jemand, der alle Fehler gemacht hat, die man in einem bestimmten Gebiet machen kann.

Niels Bohr (1885-1962), dänischer Physiker

Wir alle kennen es. Im Nachhinein ist jeder von uns schlauer. „Ach, hätte ich doch …“-Einsichten kommen oft zu spät. Unsere Gesellschaft trägt in vielerlei Hinsicht mit dem TABU-Thema Insolvenz nicht dazu bei, konstruktiv mit der Situation umgehen zu können. Wer pleite sei, könne es entweder nicht oder sei selber schuld – so oder ähnlich lautet in Kurzform der Tenor der breiten Masse.

Doch die Wahrheit sieht mitunter anders aus als es die Flurgespräche in den eigenen Reihen oder oberflächliche Zurufe vermuten lassen. Diejenigen, die in eine Krise geraten, geben oft „das letzte Hemd“, um doch noch eine „Rettung in letzter Sekunde“ herbeizuführen. Klassische Finanzierungsgeber kümmern sich nur äußerst selten um die Verantwortung gegenüber MitarbeiterInnen und Lieferanten und den Ruf eines Unternehmens im oft harten Wettbewerbsumfeld.

Und genau in dieser intensiven Phase der Krise passieren die größten Fehler. Der Vollblut-Unternehmer Holger Raithel hat viel verloren und letztendlich noch mehr gewonnen.

Der Weg vom Sohn zum Familienunternehmer

Holger Raithel (49) wuchs im oberfränkischen Marktredwitz auf und verstand schon früh, was es bedeutet, Verantwortung für ein Unternehmen zu tragen. Sein Vater, 35 Jahre lang Manager und bis 1993 Vorstand für den Porzellanhersteller Rosenthal, liebte seine Aufgabe mindestens genauso sehr wie seine Familie. Pünktlicher Feierabend, freie Wochenenden, Urlaube und Weihnachtsfesttage ohne Anrufe aus der Fabrik waren die Ausnahme, jeglicher Ruhm hart erkämpft und wohl verdient. Man war als Familie daran gewöhnt und noch als Schüler half auch Holger Raithel im Werk aus.

Voller Begeisterung studierte er Physik und startete seine Karriere zunächst bei der Unternehmensberatungsgesellschaft Accenture in München. Hier beriet er auf internationaler Ebene Automobilkonzerne, optimierte Produktionsprozesse und entwickelte Strategien für neue Geschäftsfelder bei verschiedensten Unternehmen.

Als sein Vater dann 1993 die Idee verfolgte, die Porzellanfabrik in Kahla zu kaufen und das thüringische Traditionsunternehmen zu einer international renommierten Designmarke zu transformieren, war Holger Raithel skeptisch. Dem finanziellen Risiko, dem Umzug in eine neue Heimat, dem desolaten Zustand des ehemaligen DDR-Betriebs und dem voranschreitenden Alter des gut vernetzten Konsumgüterexperten, Günther Raithel, standen jahrelange Branchenkenntnis, Mut und eine große Portion Idealismus gegenüber. Doch den anfänglichen Bedenken zum Trotz gelang der Coup. Es wurden zweistellige Millionenbeträge investiert, und alle Hoffnungen der Familie steckten in dem Unternehmen, das im späteren Zeitverlauf einen Innovationspreis nach dem anderen für sich verbuchen konnte.

Im Jahr 2005 war es dann so weit. Der Nachfolger, Holger Raithel, übernahm im Alter von 32 Jahren die Geschäftsführung der KAHLA/Thüringen Porzellan GmbH, damit die Leitung von 300 Mitarbeitern in Produktion und Verwaltung, und startete mit Vollgas durch. Er implementierte die Nachhaltigkeitsstrategie KAHLA pro Öko, investierte in Lasertechnologie, entwickelte neuartige Materialpatente, smarte to-go-Becher mit Transpondern und sicherte die Innovationsführerschaft in der schrumpfenden Porzellanindustrie. In der ansonsten strukturschwachen Region in Thüringen war KAHLA viele Jahre die Vorzeigemarke für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft schlechthin.

Doch dann kam der Tag, der alles veränderte. Die Anfrage für einen Großauftrag versprach, die Fabrik über Jahre auszulasten und ausreichend Kapital einzuspielen. Holger Raithel wagte als Einziger im deutschen Wettbewerbsumfeld, dem OEM-Geschäft, also der Zulieferung von markenfremden Artikeln, zuzustimmen. Es passierte, was nicht passieren durfte: es kam zu technischen Problemen bei einer Millioneninvestition. Vertrag und Auftrag platzten.

In der Konsequenz musste trotz massiver Sanierungsbemühungen im März 2020 ein vorläufiges Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt werden, nachdem eine bereits avisierte Finanzierung doch nicht zustande kam. Heute wird das einstige Lebenswerk der Familie Raithel durch einen neuen Eigentümer fortgeführt. Viele treue Mitarbeiter konnten ihre Anstellung am Traditionsstandort in Thüringen behalten – ein wesentlicher, persönlicher Erfolg in der Unternehmenssanierung für Holger Raithel.

Die neue berufliche Ausrichtung des einstigen 24/7-Machers der Porzellanindustrie lautet: Andere Unternehmer(familien) sollen in ihrer eigenen Restrukturierung- oder Sanierung von seinen Fehlern und Erfahrungen profitieren, um Vermögen sichern und Arbeitsplätze retten zu können. Das Management in einem stark schrumpfenden Marktumfeld hat er jahrelang gelernt und praxiserprobtes Sanierungs-Know-how in seiner KAHLA-Eigenverwaltung verinnerlicht. Statt Innovationstreiber in einer Nischenindustrie ist er jetzt Adiutor, d.h. Senior Berater bei der gleichnamigen AMBG Adiutor Management- und Beratungsgesellschaft mbH, die ihm als spezialisierte, betriebs- und vor allem leistungswirtschaftlich orientierte Sanierungsberatung in den schwersten Stunden zur Seite gestanden hat.

Die Adiutor-Philosophie (Adiutor: lat. Beistand, Helfer) der AMBG hat er am eigenen Leibe erfahren dürfen: bei der komplexen Planerstellung, im Rahmen der herausfordernden Betriebsfortführung und nicht zuletzt in unzähligen Verhandlungsrunden mit den Bankgläubigern.

Was würde Holger Raithel aus heutiger Sicht anders machen? Seine wichtigsten Tipps und weiterführenden Gedanken hat er in einem internen AMBG-Interview zusammengefasst:

Was muss ein (Familien-)Unternehmer in diesen Zeiten mitbringen?

Essenziell für einen Unternehmer ist meines Erachtens vor allem die Leidenschaft für das, was er tut, um all die kleinen und großen Herausforderungen des Unternehmeralltags zu meistern. Die Freude an der Arbeit mit Menschen, die Lust auf Erfolg, die Sorgfalt im Umgang mit Ressourcen und der Respekt vor der Natur. Fleiß und Disziplin und nicht zuletzt den Mut, wirklich etwas zu unternehmen, stellen die Basis für jeden möglichen Erfolg dar.

Was bedeutet der Sachverhalt des Scheiterns für Sie persönlich ?

Wir leben hierzulande in einer Fehlerkultur, die international oft mit “German Angst” beschrieben wird. Unbestritten ist, dass jede Chance auch Risiken birgt. Natürlich sollte ein Unternehmer alles dafür tun, Risiken zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern. Dennoch können vielfältige Einflussfaktoren unvorhergesehen kommen – dazu braucht es nicht notwendigerweise eine Corona-Pandemie, ein geplatzter Großauftrag reicht allein schon aus.

Daher ist für mich in der Retrospektive nicht die Tatsache eines Misserfolgs relevant, sondern die Chance, aus den Ursachen für die Zukunft zu lernen. Ich hatte schon immer hohen Respekt vor Menschen, deren Lebenslauf nicht nur geradlinig verlief, sondern die mit unermüdlichem Engagement ihre Ziele verfolgt und hart erkämpft haben. Ich wünsche mir für uns alle mehr von der Attitüde, die H.G. Wells so formulierte: “If you fell down yesterday, stand up today.”

Inwiefern können Sie andere Unternehmer, Eigentümer oder Geschäftsführer heute unterstützen?

Aus den Fehlern anderer lässt es sich gut lernen, sofern man bereit dazu ist, sich den eigenen Risiken frühzeitig zu stellen. Wer als Unternehmer mit mir zusammenarbeitet, bekommt ein großes Paket – die  Erfahrungen als internationaler Prozessberater, als Geschäftsführer, als Gesellschafter innerhalb einer Eigentümerfamilie, als Krisenmanager, als Verwalter der eigenen Insolvenz und jetzt als AMBG-Sanierungsberater.

Meinen Fokus möchte ich künftig auf die Sensibilisierung von Unternehmerpersönlichkeiten legen, d.h. auf die Schaffung von Risikobewusstsein für Unternehmen und Familie. Dies ist meiner Meinung nach ein entscheidendes Mittel zur Insolvenzprophylaxe – ein Mix aus betriebswirtschaftlicher Gefahrenanalyse und unternehmerischer Krisenprävention. Mein Standpunkt lautet: Niemand muss in eine Falle tappen, in die andere bereits schmerzhaft getappt sind.

Der jetzige AMBG-Beratungsalltag offenbart jedoch, dass für viele UnternehmerInnen der Leidensdruck erst so groß werden muss, dass sprichwörtliche Last-Minute-Rettungseinsätze unter Einsatz von enormen Kraftanstrengungen auf allen Seiten erforderlich werden. Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich allen UnternehmerInnen dringend empfehle, nicht bis 5 nach 12 zu warten, um professionelle Hilfe für die Sanierung in Anspruch zu nehmen.

Wann ist denn der optimale Zeitpunkt, als Unternehmer einen Berater hinzuzuziehen?

So frühzeitig wie möglich! Nicht erst, wenn die Liquiditätskrise den Kontostand dauerhaft nach unten drückt und die Familie Geld in Form von meist nachrangigen Gesellschafterdarlehen nachschießen muss, um fällige Verbindlichkeiten bedienen zu können. Ich wünschte, ich hätte die Kontakte zur AMBG bereits zu Beginn der sich abbildenden Krise bei KAHLA gehabt. Selbst, wenn keine Katastrophe vorhersehbar ist, lauern und existieren nach meinem heutigen Wissensstand überall Gefahren, die einem im alltäglichen Geschäft mitunter gar nicht bewusst sind. Welcher Unternehmer kann schon von sich behaupten, alle möglichen Risiken gleichzeitig im Überblick zu haben?

Wobei ist aus Ihrer Sicht der Expertenrat im Vergleich zur DIY-Variante dringend geboten?

Wenn ich mich in dem Kreise von bekannten Familienunternehmern so umschaue, wird deutlich, dass vielen das Bewusstsein für die besondere Risikoabsicherung der Eigentümerfamilie fehlt. Daraus kann ggf. eine offene Flanke für die Stabilität des gesamten Unternehmens werden. Meine eigene Erfahrung hat mich die „Alles für das Unternehmen“-Fokussierung als schmerzlichen Weg erleben lassen. Mit erfahrener, beratender Unterstützung können mögliche Schäden in Form eines Super-GAU´s abgewendet werden. Diese Art der professionellen Vorsorge braucht wesentlich weniger Ressourcen in der Umsetzung als andernfalls im Nachhinein jede Form der Sanierung.

Daneben gibt es natürlich die vielfältigsten Veränderungserfordernisse auf Ebene der Aufbau- und Ablaufstruktur, bei denen vertrauenswürdige und praxisfokussierte Prozessprofis wertvoll sind. Weitere Felder für unbedingten, objektiven Experteneinsatz wären meines Erachtens: Anpassung des Geschäftsmodells (inkl. Wertschöpfungskonzept, Kalkulationen, Kunden- und Gläubigerverhandlungen), Generationenwechsel oder plötzlicher Todes- bzw. Krankheitsfall. Kurz zusammengefasst: Überall da, wo der sog. „Prophet im eigenen Lande“ entweder nicht gehört wird oder die Bewertung von inneren und äußeren Parametern nur verzerrt wahrnehmen kann und deshalb aus einer anfänglichen Strategiekrise eine Erfolgs- bis hin zur Liquiditätskrise erwachsen könnte.

Zu guter Letzt: Was würden Sie heute anders machen?

Abschließend möchte ich allen UnternehmerInnen zurufen, die seit 2020 in besonderem Maße durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie in mehr oder weniger intensiven Sanierungsmaßnahmen gefordert sind: Seien Sie klug und organisieren Sie sich frühzeitig einen qualifizierten Beistand. Risikobewusstsein schafft Sicherheit für Unternehmen und Familie – dies auch vor dem Hintergrund der geänderten Gesetzesvorgaben (siehe SanInsFOG bzw. StaRUG), die seit dem 01.01.2021 gelten.

Mir ist klar geworden, dass nicht jedes Unternehmen in der Not gerettet werden kann. Dennoch ist es möglich, in solch einem Fall, eine weichere Landung zu managen, um im Nachgang einen schnelleren Neuanfang für sich und die eigene Familie abzusichern.

Holger Raithel, Senior Consultant der AMBG

Herzlich willkommen im AMBG-TEAM: Holger Raithel

Weitere Informationen auf Bedarf gerne via: dialog@ambg.de



Der diplomierte Physiker Holger Raithel ist seit 2021 in den Reihen der AMBG tätig. Seine eigenen, bitteren Erfahrungen aus der Insolvenz in Eigenverwaltung der KAHLA/Thüringen Porzellan GmbH stellt er heute anderen UnternehmerInnen und deren Familien zur Verfügung, um Risiken frühzeitig zu erkennen, bestmöglich zu managen und im schlimmsten Fall, eine weichere Landung, d.h. einen schnellen Neuanfang abzusichern.

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